Jeder hat ja so seine Lieblingssaison. Der eine hat lieber den Frühling, weil die Pflanzenwelt wieder zum Leben erwacht und er der Vorbote des Sommers ist. Dann gibt es die Sonnenanbeter, die dem Schatten weichen, wie der Papst dem Kondom. Kinder, das weiß jeder, mögen den (richtigen) Winter. So mit richtig viel Schnee, der beim Laufen unter den Füßen knirscht.

Ich für meinen Teil mag den Herbst besonders. Es ist der Abschnitt des Jahres, in der die Melancholie die Oberhand gewinnt. Die Aromaöle werden aus dem Schrank genommen; die Duftkerzen aus der Mottenkiste geholt; die Kinder basteln kleine Männchen und Tierchen aus den Kastanien; präsentieren sie stolz den anwesenden Familienmitgliedern; Mama und Oma backen im Duett um die Wette (wobei Oma immer gewinnt); der Mann geht frohen Mutes mit dem Sohnemann und dem frisch gekauften Drachen hinaus aufs Feld; Mutter Natur zieht ihre buntesten Kleider an und überrascht uns jedes Jahr aufs neue, mit ihrer aufwendigen Kollektion, alla nature die jeden Designer aussticht.

Gegen späten Nachmittag kommt Papi, voller Stolz im Herzen, nach Hause und verkündet wie Junior es (fast) ganz allein geschafft hat, den Drachen in die Luft zu bekommen und auch zu halten(!); Mama und Oma holen ihre Köstlichkeiten aus dem Ofen; der Hund, noch ein wenig belämmert von dem Waschgang in der Badewanne, liegt in seinem Korb neben dem Kamin, die Katze hat ihren angestammten Platz auf dem Kissen eingenommen; die Basteleien vom Töchterchen werden auf dem Tisch, neben den Duftkerzen, ansprechend positioniert und ein fröhliches Beisammensein wird mit einem Brettspiel zu einem vollkommenden Erlebnis. Nebenher wird munter geplaudert, was man noch so alles erlebt hat.

Draußen peitscht mittlerweile der Wind die Zweige gegen die Fenster; der Regen prasselt dazu im Takt auf das Dach und kein digital erzeugtes Geräusch unterbricht das Leben.

Ja, so würde ich mir das wünschen. Doch viel zu häufig sieht die Wahrheit anders aus. Die Eltern sind vom Job gestresst und wollen ihre Ruhe; die Kinder sitzen vor dem leuchtenden Flimmerkasten, Oma und Opa sitzen allein hunderte von Kilometern weit weg; Hund und Katz zerfleddern sich; kurz, es ist wie immer.

Dabei hat die Natur es doch schon so eingerichtet, das wir eigentlich ein wenig kürzer treten sollten; zurückschauen ob es dieses Jahr so gelaufen ist, wie man es sich vielleicht vorgestellt hat. Schließlich kündigt der Herbst das Ende des Jahres an.

Natürlich hat der Herbst auch seine Schattenseiten schlechten Seiten. Die Grippe nimmt wieder ihre alljährliche Runde auf; Autofahrer sind wieder einmal geschockt wenn es plötzlich kalt wird, wo die Sommerbereifung schon längst der Winterbereifung hätte weichen sollen, oder ersichtlich wird, dass die Heizkosten vom letzten Jahr wohl erneut übertroffen werden dürften.

An manchen Tagen fühle ich mich jedoch frei. Frei von jeglicher emotionaler Last, sei es Angst um den Arbeitsplatz; Sorge ob das Geld bis Ende des Monats reicht; Probleme sich einfach nicht lösen lassen wollen, oder einfach nur der Alltag.

Diese sehr kostbaren Momente, finde ich meist auf dem heimischen Dach. Dann, wenn es sehr mild ist, der Sternenhimmel klar erkennbar; der Wind, der hart durch das offene Haar streicht; ich mich sanft gegen den Druck lehne; die Augen schließe und einfach alles um mich herum vergesse. Der Wind spielt für mich hier eine (wortwörtlich) tragende Rolle. ??berhaupt, es gibt nichts schöneres als sich im Wind zu wiegen. Ich fand den Wind schon immer faszinierend. Er zieht mich hinaus, wenn es andere in das Haus treibt; sein Spiel mit den Bäumen zu beobachten; die Ohren zu spitzen und lauschen, welch Gesang er aufführt. Heute hört niemand mehr so wirklich dem Orchester zu.

Sofern sich Gelegenheit bot, nahm ich ein- zwei Decken, ein dickes Kissen, suchte mir ein Plateau, legte mich einfach schlafen und ließ mich von stürmischen Böen in die Träume tragen. Ich hatte meist Glück und es regnete nicht selten. Doch das liegt schon wieder viele Jahre zurück.

Heute habe ich nur mein Dach, weder Zeit noch Job lassen derartige spontanen Aktionen zu. Das sind die Zeiten der Melancholie. Meine Zeit.

Spaziergang am Herbstabend:

Wenn ich abends einsam gehe Und die Blätter fallen sehe, Finsternisse niederwallen, Ferne, fromme Glocken hallen:

Ach, wie viele sanfte Bilder, Immer inniger und milder, Schatten längst vergangner Zeiten, Seh ich dann vorübergleiten.

Was ich in den fernsten Stunden, Oft nur halb bewußt, empfunden, Dämmert auf in Seel und Sinnen, Mich noch einmal zu umspinnen.

Und im inneren Zerfließen Mein ich’s wieder zu genießen, Was mich vormals glücklich machte, Oder mir Vergessen brachte.

Doch, dann frag ich mich mit Beben: Ist so ganz verarmt dein Leben? Was du jetzt ersehnst mit Schmerzen, Sprich, was war es einst dem Herzen?

Völlig dunkel ist’s geworden, Schärfer bläst der Wind aus Norden, Und dies Blatt, dies kalt benetzte, Ist vielleicht vom Baum das letzte.

Friedrich Hebbel (1813-1663)

Nachtrag:

Vielen Dank, an zwei bezaubernden Damen, die sich meiner nicht vorhandenen Rechtschreibung angenommen haben 🙂